Maissen meint: Fachkräftemangel oder Fehlplatzierung?

Die Diskussion um den Fachkräftemangel ist in aller Munde. Die Medien berichten unaufhörlich, und die Wirtschaft schlägt Alarm. Doch erlaubt mir eine kritische Frage: Gibt es diesen Fachkräftemangel wirklich – oder arbeiten schlicht zu viele Menschen am falschen Ort?

Täglich hören wir von Unternehmen, die verzweifelt nach qualifiziertem Personal suchen. IT-Spezialisten, Ingenieure, Pflegekräfte – die Liste der Berufe, in denen angeblich Fachkräfte fehlen, ist lang. Doch was wäre, wenn das Problem nicht in einem Mangel an Fachkräften liegt, sondern vielmehr in der Tatsache, dass zu viele Menschen in Berufen tätig sind, die nicht ihren Talenten und Fähigkeiten entsprechen? Vielleicht liegt die Lösung gar nicht darin, noch mehr ausländische Fachkräfte zu rekrutieren oder Bildungssysteme umzukrempeln, sondern vielmehr darin, das vorhandene Potenzial besser zu nutzen.

1. Bildung versus Berufung
Es beginnt schon in der Ausbildung. Jugendliche entscheiden sich oft für Berufe, die sie wenig kennen, beeinflusst von Eltern, Lehrern oder gesellschaftlichen Trends. Die Wahl des Berufs scheint häufig mehr aus einem Gefühl der Pflicht oder Sicherheit getroffen zu werden als aus echter Begeisterung. Wie viele Menschen arbeiten heute in Jobs, die sie nicht wirklich erfüllen, nur weil sie irgendwann einmal den vermeintlich «richtigen» Weg eingeschlagen haben? Und wie viele dieser Menschen würden in einem anderen Berufsfeld glänzen, wenn sie ihre wahren Talente entdeckt und gefördert hätten?

2. Unternehmensstrukturen und Arbeitskultur
Ein weiteres Problem liegt in den Strukturen der Unternehmen selbst. Oft werden Mitarbeiter in starren Hierarchien und klar definierten Rollen gefangen, die wenig Spielraum für individuelle Stärken und Kreativität lassen. In solchen Umgebungen kann das Potenzial von Mitarbeitern verkümmern – oder sie entscheiden sich, den Arbeitgeber zu wechseln, in der Hoffnung, woanders mehr Erfüllung zu finden. Doch das Problem bleibt: Wenn die Strukturen nicht flexibel genug sind, um unterschiedliche Talente zu fördern, bleibt das Potenzial brach liegen.

Beat De Coi, ein erfolgreicher Unternehmer, bringt es treffend auf den Punkt: «Ich habe immer versucht, die besten Leute zu suchen und dann zu schauen, wo ich sie am besten einsetze.» Diese Haltung zeigt, wie wichtig es ist, Talente nicht nur zu erkennen, sondern sie auch gezielt dort einzusetzen, wo sie den grössten Wert schaffen können.

3. Die Rolle der Eigenverantwortung
Schliesslich müssen wir auch die Eigenverantwortung jedes Einzelnen ins Zentrum der Diskussion rücken. Wie oft hinterfragen wir unsere eigene berufliche Situation? Sind wir tatsächlich an dem Platz, an dem wir unser Bestes geben können? Oder verharren wir aus Bequemlichkeit oder Angst vor Veränderung in einer Position, die uns nicht wirklich entspricht? Jeder Einzelne trägt die Verantwortung, seine Fähigkeiten und Interessen zu erkennen und zu entwickeln – und den Mut zu haben, gegebenenfalls neue Wege zu gehen.

Konklusion
Der vielbeschworene Fachkräftemangel könnte in Wahrheit oft ein Problem der Fehlplatzierung sein. Statt ständig nach neuen Lösungen von aussen zu suchen, sollten wir uns auf drei wesentliche Punkte konzentrieren: Eine fundierte und selbstkritische Berufswahl, flexible Unternehmensstrukturen, die Talente fördern, und schliesslich die Bereitschaft jedes Einzelnen, die eigene berufliche Situation immer wieder zu hinterfragen. Denn nur wer den Mut hat, den richtigen Platz zu finden, kann wirklich sein volles Potenzial entfalten – und dem sogenannten Fachkräftemangel aktiv entgegenwirken.

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